Vertikal und horizontal
Das Lot und die Wasserwaage
Wasserwaage auf einem Marmorboden prüft die Horizontalität
In der Physik, Technik und im Bauwesen ist die als vertikal bezeichnete Richtung meist die, an der ein Lot hängt. Alternativ kann eine Wasserwaage, die den Auftrieb einer Luftblase und deren Tendenz, senkrecht nach oben zu gehen, ausnutzt, zur Prüfung der Horizontalität verwendet werden. Auch ein Wasserwaagengerät kann zur Feststellung der Horizontalität verwendet werden.
Moderne Rotationslaser-Nivelliere, die sich automatisch nivellieren können, sind robuste, anspruchsvolle Instrumente und arbeiten nach dem gleichen Grundprinzip.
Die flache Erdannäherung
Im Szenario der flachen Erde, bei dem die Erde fiktiv eine große (unendliche) ebene Fläche mit einem Gravitationsfeld im rechten Winkel zur Oberfläche ist, ist die Erdoberfläche horizontal und jede Ebene parallel zur Erdoberfläche ist ebenfalls horizontal. Vertikale Ebenen, z. B. Wände, können parallel zueinander sein oder sich an einer vertikalen Linie schneiden. Horizontale Flächen schneiden sich nicht. Außerdem kann eine Ebene nicht gleichzeitig an einem Ort eine horizontale Ebene und an einem anderen Ort eine vertikale Ebene sein.
Vertikale & Horizontale Linien
Die kugelförmige Erde
Wenn man die Erdkrümmung berücksichtigt, bekommen die Begriffe vertikal und horizontal eine ganz andere Bedeutung. Auf der Oberfläche eines glatt kugelförmigen, homogenen, nicht rotierenden Planeten nimmt das Lot die radiale Richtung als vertikal auf. Streng genommen ist es nun nicht mehr möglich, dass senkrechte Wände parallel sind: Alle Senkrechten schneiden sich. Diese Tatsache hat ganz praktische Anwendungen im Hoch- und Tiefbau, z. B. sind die Spitzen der Türme einer Hängebrücke weiter auseinander als unten.
Auch können sich horizontale Ebenen schneiden, wenn sie Tangentialebenen zu getrennten Punkten auf der Erdoberfläche sind. Insbesondere schneidet eine Ebene, die einen Punkt auf dem Äquator tangiert, die Ebene, die den Nordpol tangiert, in einem rechten Winkel. Außerdem ist die Äquatorebene parallel zur Tangentialebene am Nordpol und hat somit den Anspruch, eine horizontale Ebene zu sein. Gleichzeitig ist sie aber auch eine vertikale Ebene für Punkte auf dem Äquator. In diesem Sinne kann eine Ebene wohl sowohl horizontal als auch vertikal sein, horizontal an einem Ort und vertikal an einem anderen.
Weitere Komplikationen
Bei einer sich drehenden Erde weicht das Lot in Abhängigkeit von der geografischen Breite von der radialen Richtung ab. Nur am Nord- und Südpol fluchtet das Lot mit dem lokalen Radius. Die Situation ist sogar noch komplizierter, weil die Erde keine homogene glatte Kugel ist. Sie ist ein nicht homogener, nicht kugelförmiger, knorriger Planet in Bewegung, und die Vertikale muss nicht nur nicht entlang einer Radialen liegen, sie kann sogar gekrümmt sein und sich mit der Zeit verändern. Im Kleinen kann ein Berg auf einer Seite das Lot vom wahren Zenit ablenken.
Im Großen ist das Gravitationsfeld der Erde, das in Erdnähe zumindest annähernd radial ist, nicht radial, wenn es in größeren Höhen vom Mond beeinflusst wird.
Wände und BödenBearbeiten
Auf einem (horizontalen) Boden kann man eine horizontale Linie zeichnen, aber keine vertikale Linie im Sinne eines Lotes. Aber auf einer (vertikalen) Wand kann man sowohl vertikale als auch horizontale Linien zeichnen. In diesem Sinne bietet eine vertikale Wand mehr Möglichkeiten. Dies spiegelt sich in den Werkzeugen wider, die ein Maurer verwendet: ein Lot für die Vertikalität und eine Wasserwaage, um zu prüfen, ob die Mörtelschichten waagerecht sind.Im Gegensatz zu einer Wand bietet ein horizontaler Boden mehr Möglichkeiten, wenn man die Himmelsrichtungen betrachtet. Man kann auf einem Boden Linien in Richtung Norden, Süden, Osten und Westen zeichnen, und zwar entlang jeder Himmelsrichtung. Eine Wand bietet weniger Möglichkeiten. Zum Beispiel kann ein Insekt auf einer Wand, die entlang eines Längengrades verläuft, nicht nach Osten krabbeln.
Unabhängigkeit von horizontalen und vertikalen Bewegungen
Unter Vernachlässigung der Erdkrümmung sind horizontale und vertikale Bewegungen eines Projektils, das sich unter der Schwerkraft bewegt, unabhängig voneinander. Die vertikale Verschiebung eines Projektils wird von der horizontalen Komponente der Abschussgeschwindigkeit nicht beeinflusst, und umgekehrt ist die horizontale Verschiebung von der vertikalen Komponente unbeeinflusst. Die Vorstellung reicht mindestens bis zu Galilei zurück.
Wenn die Erdkrümmung berücksichtigt wird, gilt die Unabhängigkeit der beiden Bewegungen nicht. So kann z. B. auch ein in horizontaler Richtung abgefeuertes Projektil (d. h. mit einer vertikalen Komponente von Null) die Oberfläche der kugelförmigen Erde verlassen und sogar ganz entkommen.