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Polytheismus

Das Wesen des Polytheismus

Im Zuge der Analyse und Aufzeichnung verschiedener Glaubensvorstellungen im Zusammenhang mit den Göttern haben Religionshistoriker bestimmte Kategorien verwendet, um unterschiedliche Einstellungen gegenüber den Göttern zu identifizieren. So wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Begriffe Henotheismus und Kathenotheismus verwendet, um die Verherrlichung eines bestimmten Gottes als den ausschließlich höchsten im Rahmen einer bestimmten Hymne oder eines Rituals zu bezeichnen – z. B. in den Hymnen der Veden (den alten heiligen Texten Indiens). Dieser Prozess bestand oft darin, den ausgewählten Fokus der Verehrung mit den Attributen anderer Götter zu beladen. Im Rahmen eines anderen Teils der gleichen rituellen Tradition kann ein anderer Gott als oberster Fokus gewählt werden. Wörtlich bedeutet Kathenotheismus den Glauben an nur einen Gott. Der Begriff Monolatrie hat einen damit verbundenen, aber anderen Sinn; er bezieht sich auf die Verehrung eines Gottes als oberstes und einziges Objekt der Verehrung einer Gruppe, ohne die Existenz von Gottheiten anderer Gruppen zu leugnen. Der Begriff Henotheismus wird auch verwendet, um diesen Fall abzudecken oder, allgemeiner, um den Glauben an die Vorherrschaft eines einzigen Gottes zu meinen, ohne andere zu leugnen. Dies scheint eine Zeit lang im alten Israel in Bezug auf den Jahwe-Kult der Fall gewesen zu sein.

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Der Begriff Animismus wurde auf einen Glauben an viele Animae („Geister“) angewandt und wird oft recht grob verwendet, um sogenannte primitive Religionen zu charakterisieren. In evolutionären Hypothesen über die Entwicklung der Religion, die vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter westlichen Gelehrten in Mode waren, wurde der Animismus als ein Stadium betrachtet, in dem die den Menschen umgebenden Kräfte weniger personalisiert waren als im polytheistischen Stadium. In tatsächlichen Fällen religiösen Glaubens ist ein solches Schema jedoch nicht möglich: persönliche und unpersönliche Aspekte göttlicher Kräfte sind miteinander verwoben; z.B., Agni, der Feuergott des Rigveda (der bedeutendsten Sammlung vedischer Hymnen), wird nicht nur als Objekt der Verehrung personifiziert, sondern ist auch die geheimnisvolle Kraft innerhalb des Opferfeuers.

Der Glaube an viele göttliche Wesen, die typischerweise verehrt oder, wenn sie bösartig sind, mit entsprechenden Ritualen abgewehrt werden müssen, war in menschlichen Kulturen weit verbreitet. Obwohl ein einzelner evolutionärer Prozess nicht postuliert werden kann, gab es in verschiedenen Traditionen eine Tendenz zur Vereinigung heiliger Kräfte unter einem einzigen Oberhaupt, das in einer Reihe von nicht-literarischen „Ur“-Gesellschaften in ein höchstes Wesen eingebettet wurde. Manchmal ist dieses Wesen ein deus otiosus (ein „gleichgültiger Gott“), der als ein Wesen betrachtet wird, das sich aus der unmittelbaren Beziehung zu den Menschen zurückgezogen hat und manchmal als zu erhaben angesehen wird, als dass die Menschen ihn anrufen könnten. Diese Beobachtung veranlasste Wilhelm Schmidt, einen österreichischen Anthropologen, im frühen 20. Jahrhundert einen Urmonotheismus zu postulieren, der später vom Polytheismus überlagert wurde. Wie alle anderen Theorien über religiöse Ursprünge ist auch diese Theorie spekulativ und nicht überprüfbar. Vielversprechender sind die Versuche von Soziologen und Sozialanthropologen, zu den Verwendungszwecken und der Bedeutung der Götter in bestimmten Gesellschaften vorzudringen.

Neben der Tendenz zu einer gewissen Vereinheitlichung gab es in der menschlichen Kultur auch andere Tendenzen, die eine ziemlich ausgefeilte Herangehensweise an das mythologische Material mit sich brachten – z.B. die psychologische Bedeutung der Götter, wie in den Werken der griechischen Dramatiker Aischylos und Euripides und, ähnlich, aber aus einem anderen Blickwinkel, im Buddhismus. Auf der volkstümlichen Ebene gab es z. B. die Umdeutung der Götter in christliche Heilige, wie im mexikanischen Katholizismus. Eine vollständig artikulierte Theorie über die Art und Weise, wie der Polytheismus symbolischen, sozialen und anderen Funktionen in der menschlichen Kultur dient, erfordert jedoch eine Klärung der Rolle des Mythos, ein viel diskutiertes Thema in der zeitgenössischen Anthropologie und vergleichenden Religionswissenschaft.

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